Carmen Leimer: Der Detailhandel ist ihre Leidenschaft

In der Natur und in den Bergen holt sich Carmen Leimer immer wieder neue Energie.
In der Natur und in den Bergen holt sich Carmen Leimer immer wieder neue Energie.

Ich sehe sie im geistigen Auge vor mir. Klein Carmen baut ihr Angebot im «Lädeli» in ihrer Bäbistube sorgsam auf und immer aus – dann geht’s flott zum Verkauf. Ihre Kunden: Das waren wahrscheinlich Mama und Papa, die Tante, der Onkel, die Patin oder der Pate. Sie habe immer schon ein Faible entwickelt für den Verkauf, erzählt Carmen Leimer heute – einige Jahrzehnte nach ihren ersten Verkaufserfahrungen in der Kindheit. Mittlerweile ist sie Inhaberin einer Boutique mit Damenkleidern – «für das Alterssegment 35+», sagt die engagierte Frau und weiss mittlerweile, dass sie mit ihrem Angebot in der näheren und der weiteren Region fast konkurrenzlos ist. Deshalb kommen ihre Kundinnen nicht nur aus Grenchen, sondern reisen auch von weiter her in die Uhrenstadt, um in der Boutique Olivia an der Kapellstrasse das zu finden, was nicht überall in den Regalen hängt.

Gutes Bauchgefühl

Dass Grenchen für Modeboutiquen kein einfaches Pflaster ist, weiss sie. Das wusste sie vor zehn Jahren schon, als sie die etablierte Boutique übernahm. «Ich hatte ein gutes Bauchgefühl und den guten Willen, schnell zu erkennen, was Frau Grenchnerin sich wünscht.» In ein paar Monaten feiert sie ihr 10-Jahr-Jubiläum mit einem guten Blick in die Vergangenheit und auch in die Zukunft. Noch vor ein paar Monaten zeichnete sie ein anderes Bild – eines, das geprägt war von zwei Lockdowns und der Ungewissheit, wann und wie es weitergehen sollte. Im Gesicht von Carmen Leimer sprüht Zuversicht. Tempi passati. Sie hat die schwierige Zeit er- und vor allem überlebt. Sie steht wieder an jedem Öffnungstag an der Theke und freut sich, wenn ein Signalton die neue Kundin ankündet.

An der «grossen Welt» geschnuppert

Wie so oft im Leben eines Menschen hätte bei ihr auch alles anders kommen können. Schon? Carmen Leimer schmunzelt. «Trotz allem bin ich nicht im Verkauf eingestiegen. Ich habe mir damals gedacht, als Coiffeuse bin ich näher bei den Kunden.» Ihre Lehre hat sie erfolgreich absolviert und die Arbeit im fernen Arosa fortgesetzt. Gelernt hat sie in Solothurn. Richtig. Sie ist keine Ur-Grenchnerin, sondern geboren und aufgewachsen in Langendorf. Gefallen hat es ihr in ihrem ersten richtigen Berufsleben in Arosa. «Sehr sogar», sagt sie heute. Zu jener Zeit, vor 40 Jahren genau genommen, hätten hier Herr und Frau «nobel und reich» verkehrt. «Ich habe ein bisschen an der grossen Welt schnuppern können.» Und dabei lernte sie Damen kennen, die aus der deutschen Textilbranche stammten. Da bahnte sich also unbewusst schon an, was später ihr Lebensmittelpunkt werden sollte.

Aber zuerst zog es die junge Frau in die Welt hinaus. Sie reiste viel. Das Geld dazu verschaffte sie sich mit Übergangsjobs. «Damals ging das noch.» Und in diesen Worten spürt man ein bisschen Wehmut. Wo hat sie gejobbt? «Mal hier, mal da, und in unterschiedlichen Branchen.»

Und wieder kommt es anders

Hoppla, da kommt es wieder anders! Sie habe auf den vielen Reisen ein Gespür für Menschen entwickelt. Dieses Faible sollte ihr später wieder helfen. Sie wurde sesshafter und verliebte sich – in ihren ersten Mann. Er habe die mechanische Werkstätte, spezialisiert auf Präzisionsmechanik, von seinem Vater übernommen. Und sie? Carmen Leimer schnupperte nun endgültig am Verkaufsleben. Sie war und ist eine Leseratte, und so kam ihr eine Stelle bei Ex Libris gerade gelegen. Und weil sie ihre Arbeit sehr gut machte, bot man ihr die Filialleitung an. Sie war auch bei der Sortimentsbereinigung am Hauptsitz immer mit dabei und wurde gerne eingesetzt bei der Personalrekrutierung. Wie war das noch? Ah, richtig: Auf ihren Reisen lernte sie die Menschen kennen und auch einschätzen. Sie hatte ihren Traumberuf gefunden. Und dann wurde sie schwanger, mit 37, und schenkte einem Sohn das Leben und wechselte die Verkaufswelt mit der Rolle der Frau und Mutter. Als ihr Sohn neun war, kam es zur Trennung – so wie das halt immer wieder in einer Partnerschaft vorkommt. Sie musste von einem Tag auf den andern wieder auf eigenen Beinen stehen und nahm eine Stelle an bei einem Steinhauer im Verkauf. Nein, von Dauer konnte das nicht sein, und als sie von der Boutique hörte in Grenchen, die verkauft werden sollte, fand sie, war die Stunde der Wahrheit für sie gekommen.

Darum heisst die Boutique «Olivia»

Nun möchten wir natürlich wissen, warum die Boutique heute Olivia heisst und nicht Carmen. «Ganz einfach», erklärt sie, «die Gründerin der Boutique hiess zwar Ruth Piller, bezeichnete aber in Erinnerung an ihre Mutter Olivia die Boutique mit diesem Namen.» Für Carmen Leimer gab es keinen Grund, den Namen zu ändern, und so fuhr sie mit dieser bewährten Bezeichnung weiter.

Heute lebt sie im Haus ihres früheren Ehemannes, mit dem sie nach wie vor ein gutes Verhältnis habe. Ihr Lebenspartner wohnt im Freiburgischen; die Wege der beiden treffen sich aber regelmässig in Grenchen. Er sei in der Boutique im Backoffice tätig und mache sich vor allem beim Abverkauf einen Namen als guter «Marktschreier».

Während die überaus vife Dame ihre Lebenskladde mehr und mehr öffnet, fragt sich der Zuhörer: «Und was gibt es ausserdem im Leben der Carmen Leimer?» Bis vor zwei Jahren habe sie einen Hund gehabt. Er fehlt ihr, und sie kann sich gut vorstellen, wieder einen Hund zu haben. Aber nicht jetzt. Die Zeit fehlt (noch). Dafür unternimmt sie sehr gerne Wanderungen auf den Jurahöhen und sagt gleich: «Nirgendwo anders gibt es auf engem Raum so viele schöne Berggasthöfe. Die Reiserei, die fehlt ihr natürlich auch ein bisschen. Letztes Jahr aber hatte sie sich einen lang gehegten Wunsch erfüllt, dafür einige Jahre gespart, um fünf Wochen in Neuseeland zu verbringen. Mit dabei auch ihr Partner, der dann unfreiwillig verlängern musste, nachdem er beschlossen hatte, noch für ein paar Wochen zu bleiben. Die Grenzen gingen in Neuseeland ebenso zu wie in der Schweiz.

Das mag auch heilsam sein und verständlich, wenn Carmen Leimer davon spricht, dass man mit zunehmendem Alter die Heimat immer als wichtiger empfinde. Das eine soll das andere nicht ausschliessen. Richtig. «In vier Jahren werde ich pensioniert und gehe dann auch wieder ein bisschen auf Reisen.»

Nein. Eigentlich wollten wir das Thema nicht anschneiden. Aber weil sie sich jetzt schon Gedanken über die Nachfolgeregelung macht, sinniert sie gleichermassen über die Zukunft des Gewerbes und des Detailhandels von Grenchen. «Muss man.» Richtig, das muss man schon auch. Sie will nicht klagen. «Das bringt nichts. Ich sage nur so viel: Es muss sich schon das eine oder andere ändern. Und vielleicht auch der Konsument selbst.» Dass man es auch in einem erschwerten Umfeld gut machen kann, sagt sie selber nicht. Aber man könnte ihr durchaus attestieren, dass sie jedenfalls in den letzten zehn Jahren wohl vieles richtig gemacht haben muss.