Und immer war die stille Begleiterin da

Zwischen dem ersten Besuch und der zweiten Visite bei Patrik Hegelbach liegen ziemlich genau fünf Wochen und 1334,2 Kilometer. Er gehört zu den 15 Männern und Frauen – etwas mehr als die Hälfte aller Teilnehmer – die in 20 Tagen diese Strecke am Deutschland-Lauf von der Nordsee-Insel Sylt nach Garmisch-Partenkirchen geschafft haben. Mit dem 5. Schlussrang hat der einzige Schweizer Teilnehmer aus Grenchen mehr als nur aufhorchen lassen. Und in den 20 Tagen immer dabei war auch seine Frau Doris.

Immer dabei als Motivatoren auf den 1342 Kilometern mit «Hegu»: Frau Doris und Hündin Mela. Bild: Joseph Weibel
Immer dabei als Motivatoren auf den 1342 Kilometern mit «Hegu»: Frau Doris und Hündin Mela. Bild: Joseph Weibel

Am Tag 21 ist Patrik «Hegu» Hegelbach mit seiner Frau Doris und Hündin Mela nach Hause zurückgekehrt und noch einmal überrascht worden. In Garmisch-Partenkirchen erwartete ihn seine Mutter, zu Hause dann eine schöne Schar aus seinem Freundeskreis, die dem Läufer am Breidensteinweg Spalier standen.

Nun sitzen wir im Wohnzimmer der Familie Hegelbach: Patrik, Doris und die beiden Töchter Céline und Chantal – und Hündin Mela, die jeden Besucher freudig begrüsst. Und? Kein und. «Hegu», wie ihn alle nennen, wirkt entspannt und strahlt über beide Wangen, so wie ich ihn vor fünf Wochen kennen gelernt und gesehen habe. Es braucht keine Frage, kein Stichwort, um zu spüren, wie sehr ihn diese Leistung, die er in diesen drei Wochen erbracht hat, noch beschäftigt. «Ich bin immer noch am Verarbeiten.» In der Nacht wache er mittlerweile höchstens noch einmal auf, wenn ihm das Kopfkino wieder mal über Stock und Stein laufen liess und die eine oder andere Tagesetappe vor Augen hielt.

Wie schafft man das?

Er wird immer wieder das gleiche gefragt: Wie schafft man das? Wie ist das, im Tag 60 bis 80 Kilometer zu laufen – meistens von fünf Uhr morgens mit einem Schnitt von 10 Stundenkilometern? Das wollte auch Tochter Céline wissen und versicherte ihm, sie werde jeden Tag einen Zehntel seines Laufpensums ebenfalls absolvieren. Mit dem Schrittzähler kam sie anfänglich nicht so weit, stieg deshalb aufs Rad ging zu Fuss und absolvierte bewusst die sechs bis acht Kilometer. Das war ihr solidarischer Beitrag für ihren Vater. Nach 1000 Kilometer habe ihn ein Podcast-Kollege und passionierter Läufer verraten, er brauche für diese Distanz ein halbes Jahr.

Aber das war nicht die Antwort auf die Frage vieler. «Hegu» sinniert kurz und sagt: «Es steckt ganz viel Kopfarbeit dahinter – und vor allem der Wille, das Ziel zu erreichen. Während den 20 Tagen stand er im Fokus aller Interessierten. Hinter ihm, backstage, war seine Frau Doris. Sie hat ihn begleitet, von Anfang bis Ende. Sie fuhr das Wohnmobil, das ihnen auch als Schlaf- und Rückzugsstätte diente. Sie war nicht nur seine Begleiterin, sondern auch Helferin in der Organisation. Sie sorgte für die Verpflegung beim ersten Posten, meistens nach 10 bis 15 auch schon langen Kilometern. Sie versorgte ab und an Läufer mit Blessuren. Sie sammelte die Leuchtwesten und Taschenlampen ein und brachte sie ins Ziel. ­Jedes Gramm weniger zählt auf diesen Strecken ganz besonders.

Auch ein bisschen Urlaub

Sie folgte ihrem «Hegu» nicht Schritt auf Schritt. Während des Laufs besuchte sie die Städte, die von den Läuferinnen und Läufern durchquert wurden, kaufte ein, shoppte und: Wenn das Telefon klingelte, war meistens «Hegu» am Draht. Er brauchte ein Kurzarmshirt oder die ­Hitze forderte mehr Flüssigkeit. Doris stieg ins Auto und folgte seiner Spur. Die Regeneration war – so gesehen – die längste Zeit. Meistens nach dem Mittag waren die Teilnehmenden am Ziel und was folgte war Ruhe, Entspannung und Blessuren pflegen. «Da ist es wichtig, wenn jemand an deiner Seite steht», sagt «Hegu» rückblickend. Und mit einem Schmunzeln im Gesicht verrät er: «Es waren auch ein bisschen Ferien, gemeinsamer Urlaub, halt einfach etwas anders.» Für Frühstück und Nachtessen sorgte die Organisation. Manchmal ­hätte er sich etwas mehr gewünscht. Doris wusste, was ihr Mann jetzt noch ­brauchte und besorgte ihm kulinarischen Nachschub. Zwischenzeitlich hätten sich auch kleinere Gruppen gebildet – vor allem unter jenen, die ebenfalls mit dem Wohnmobil unterwegs waren. So war für etwas Abwechslung gesorgt an den Nachmittagen, wo man alles wollte, nur nicht laufen. Nach acht Uhr abends war meistens Lichterlöschen im Wohnbus. Knapp acht Stunden später ging es wieder los: Frühstück und ab auf die Strecke durch den langsam erwachenden Tag.

Echt jetzt: Keine Schmerzen?

Jetzt mal ehrlich «Hegu»: Die täglichen Posts auf Whatsapp waren von Optimismus geprägt und voller Lebensfreude. War das so in der Wirklichkeit? Vielleicht sei er etwas übermotiviert in den Lauf gestiegen und fiel nach drei Etappen in ein Tief – in ein mehrtägiges Tief. An den folgenden Tagen sei er immer besser in den Rhythmus gekommen und habe ­gefühlt: Jetzt packst du es! Und taten sie weh, die vielen Kilometer am Tag? ­«Natürlich. Eigentlich tat es am ganzen Körper weh. Muskuläre Schmerzen am Nacken hätten ihm am meisten zu schaffen gemacht.

Und jetzt?

In Deutschland ist es vor allem flach bis zu den Alpen, denkt man. Es beginnt aber schon früher zu steigen – ein Auf und Ab sozusagen, spätestens nach dem Ruhrpott. Es sei keine «schöne» Strecke gewesen. Das war bewusst so gewählt, um möglichst auf der Direttissima ans Ziel zu kommen. Aber auch so: Über 1300 Kilometer sind auch so kein Pappenstiel – weiss Gott nicht. Der Lohn folgte auf dem Fuss. Er schaffte es. Stieg auf den Olymp bzw. die Zugspitze und jubelte mit grosser Schweizer Fahne den Zuschauenden zu. Nach 20 Tagen legte er sich erstmals wieder in ein richtiges Bett, in einem Hotel mit etwas mehr Raum als die Tage zuvor. Ich frage nicht, wie er geschlafen hat. Wahrscheinlich war das nicht einfach.

Der Empfang zu Hause war ein krönender Abschluss dieses Unternehmens. Ein schöner, ein unvergessener wie der Lauf selbst auch. Dumme Frage: Würde er noch einmal dasselbe tun? Nein. Macht er nie. Es gibt im Moment kein konkretes Ziel für «Hegu». Das kann sich bei ihm aber schnell ändern. Wir sind gespannt!