Wie ein Bubentraum Wirklichkeit wurde

Christof Gasser an der Lesung seines neuen Krimis «Wenn die Schatten sterben». Foto: zvg
Christof Gasser an der Lesung seines neuen Krimis «Wenn die Schatten sterben». Foto: zvg

Ich sitze an einem Lesetisch, wie sie in Buchhandlungen häufig stehen; vor mir ein Stapel Bücher. Mein neuster Roman. Eine Menschentraube mit Männern, Frauen und sogar Jugendlichen warten geduldig auf eine Widmung. Daneben steht mein Agent, fast unbemerkt, der seinerzeit erfolgreich einen Buchverlag fand, der meinen ersten Krimi veröffentlichte. Zufrieden schaue ich auf die immer grösser werdende Menschenschlange. Berühmt sein ist schön, aber auch anstrengend. Die ersten Zeilen sind ein Plagiat. Jetzt kommt die reale Geschichte von einem Mann, für den dieser Traum in Erfüllung ging.

Aber ich bin ehrlich. Diese Vorstellung hatte ich schon einige Male – wie wäre es, ein umworbener Schriftsteller zu sein? Dieser Gedanke hat seinen Reiz. Letztmals von diesem Gefühl befallen wurde ich beim Zusammentreffen mit dem Solothurner Krimiautor Christof Gasser. 14 Uhr war angesagt, bei Bücher Lüthy an der Gurzelngasse in Solothurn. Wo sonst? Es hätte auch in Grenchen bei Bücher Lüthy sein können. Gasser, der gebürtige Zuchwiler, der seit 16 Jahren mit seiner Frau in Oberdorf lebt, hat längere Zeit für die Eta gearbeitet. Viele Jahre in Asien, aber auch in Grenchen selbst. Die Stadt sei viel besser als ihr Ruf, sagt er – und meint das so. Seit dem 1. Krimifestival in Grenchen vor anderthalb Wochen kennt man Christof Gasser in Grenchen noch besser. Er war einer von über 40 Schweizer Krimiautorinnen und -autoren und der Initiant dieses Festivals, das künftig alle zwei Jahre stattfinden soll.

Der Regio-Krimi in der eigenen Region

Sein erstes Werk: «Solothurn trägt schwarz» habe ich gelesen. Was heisst gelesen? Ich habe die 356 Seiten förmlich verschlungen. Es ist ein packender Krimi mit authentischen Plätzen in und rund um Solothurn. Dieser Einbezug der Regionalität war für mich nicht neu. ­Jahre zuvor stiess ich in Ostfriesland zufällig auf ein Buch von Klaus-Peter Wolf, der im ostfriesischen Norden lebt und seine Krimi-Galerie zwischenzeitlich auf gegen 20 Bände angereichert hat. Die Handlung findet auf dem Festland Ostfrieslands oder auf einer der sieben Wattenmeerinseln statt. Christof Gasser hat seit 2015 bereits sieben Krimis veröffentlicht – den letzten vor kurzem. Die bisherigen Bände wurden alle über 10000-mal verkauft. Für Schweizer Verhältnisse ist das ausserordentlich. Er hat keine Schriftstellerschule besucht. Dafür hat er sich mit Persönlichkeiten «aus der Szene» ausgetauscht, zum Beispiel mit der Zürcher Schriftstellerin Milena Moser, und sich von ihr inspirieren lassen. Es mag wohl im ersten Moment nicht aufbauend gewesen sein, als sie ihm verriet, wie viele Buchtitel im deutschsprachigen Raum auf Abnehmer warten: 700000. Gut ein Viertel davon wird der Spannungsliteratur, zu der auch Krimis gehören, zugeordnet.

Gelernt, wie man kreativ schreibt

Da fragt man sich schon, ob es auf dem Markt noch mehr Schriftsteller und deren Bände braucht. Der Wille, seinen Jugendtraum durchzusetzen, war jedenfalls stärker. Schreiben faszinierte ihn schon in der Grundschule – um einige Längen mehr als die Zahlenjongliererei. Er habe sich damals vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn er ein Buch schreiben würde. Nach 30 Jahren in der Privatwirtschaft fragte er sich wieder, ob es in seinem beruflichen Leben noch etwas anderes gäbe. Die Zeit in der faszinierenden Uhrenbranche möchte er nicht missen. Er habe sie genossen. Er war bei Eta in Grenchen, rund 20 Jahre, davon zwei Drittel in Asien. Er war als studierter Betriebswirtschafter in leitenden Funktionen tätig, zuletzt auch im Personalbereich – Human Resources wie man heute sagt. Ursprünglich hat er Kaufmann gelernt, im Sulzer Webmaschinenwerk in Zuchwil. Die entscheidende Wende in seinem Leben wurde an Workshops während seiner Zeit in Thailand eingeleitet, als er 1998 zusammen mit australischen und amerikanischen Journalisten und Schriftstellern die Schulbank in Workshops drückte und lernte, wie man kreativ schreibt.

Wie seine Fabelfiguren entstehen

Heute steht er selbst am Rednerpult und erzählt Interessierten, wie man Leserinnen und Leser mit seinen Geschichten packen und fesseln kann. Wer seine Bücher so gut absetzen kann wie Christof Gasser, darf künftigen Schriftstellerinnen und Schriftstellern durchaus sagen, aus welchem Holz eine gute Geschichte geschnitzt wird. Er schreibe Geschichten, die er selber gerne lesen würde. Das klingt einfach, aber irgendwie logisch. Jeder Schriftsteller dürfte anders vorgehen, wenn er ein Buch plant und schreibt. Christof Gasser entwickelt Geschichten aus Themen, die ihn interessieren und schafft die szenischen Figuren dazu. In seinem ersten Krimi «Solothurn trägt schwarz» spielen der Kommissar Dominik Dornach und die Staatsanwältin Angela Casagrande die tragenden Rollen. In den Mittelpunkt gerät dabei die Tochter von Dornach mit den in ihrem Alter üblichen Zickereien mit ihrem Vater, der getrennt von ihrer Mutter lebt. Ist in der Figur Dominik Dornach auch ein bisschen Christof Gasser? Er hat keine Tochter, bestätigt er. Trotzdem hegt er durchaus Vatergefühle für die literarische Polizistentochter. Zur Faszination für das Böse in Krimis sagte er: «Wir sind duale Wesen mit einer dunklen und hellen Seite.» Die ruft er ab, ob bei sich selbst oder bei anderen Persönlichkeiten, um sie in die Fabelfiguren in seinen Geschichten einzubinden.

Überarbeitung des Buches ist das Herzstück

Er arbeitet nicht mit Post-it-Zetteln auf Matrixtafeln und plant kein Buch bis ins letzte Detail zu Ende, wie das vielleicht viele andere Berufskollegen tun. Er beginnt mit einem groben Abriss und den Meilensteinen der Handlung und entwickelt daraus die Geschichte mit jedem Schreibtag weiter. Am liebsten sitzt er morgens in der Früh am Computer. ­Bereits um sechs oder sieben Uhr, für vielleicht zwei oder drei Stunden. Am späteren Nachmittag greift er wieder in die Tasten, manchmal bis 20 Uhr oder spätabends. Die Tagesform ist auch bei ­einem Schriftsteller nicht immer gleich gut. Das Buch ist innerhalb von ein paar Wochen geschrieben. Zeitaufwendig ist die anschliessende Überarbeitung. Dann folgt die Arbeit der Lektorin, die das Manuskript kritisch durcharbeitet und schon mal die eine oder andere ­Szene rot anstreicht oder mit Frage­zeichen versieht. Das Schreiben ist mittlerweile nicht mehr Hobby, sondern Broterwerb von Gasser. Das ist ein Unterschied zu vielen anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, welche die Schreiberei neben ihrem Haupterwerb betreiben.

Einfach war der Weg auch für ihn nicht. Als er 2015 sein erstes Buch fertig hatte, kam von etlichen Schweizer Verlagen eine freundliche Absage. Seine Lektorin empfahl ihm einen Agenten. Das war ein guter Ratschlag. Der Emons-Verlag in Köln fand Gefallen an seinem Exposé. Diese Kurzabschrift des Buches ist üblich und zwingt den Autor, auf fünf bis sieben Seiten sein Buch mit der nötigen Spannung zusammenzufassen und dem Verlag zu «verkaufen». Rückblickend sagt Gasser, man müsse hartnäckig bleiben, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein, und auch ein bisschen Glück gehöre dazu.

Ein Solothurner Krimi musste es sein

Das ist einfacher gesagt als getan. Das musste schon mancher Schreibende, der in der Schriftstellerei sein neues Lebensziel sah, feststellen. Seine Ansage damals war eine andere. Erstens wollte er Krimis schreiben, zweitens musste der Handlungsort Solothurn sein. Denn in diesem schönen Umfeld, wie er findet, habe es bis anhin kaum Krimiliteratur gegeben. Vier Bücher mit der Stadtsolothurner Szenerie und denselben Figuren sind bisher erschienen. Zwei weitere Bücher kamen hinzu mit einer investigativen Journalistin. Die szenischen Orte spielten zuerst im Schwarzbubenland, im zweiten Buch im Berner Oberland. ­Sieben Bücher in acht Jahren. Das ist nicht schlecht. 2013 hat er mit dem Schreiben begonnen und die Räume zwischen den Neuerscheinungen werden immer enger. Zusätzlich beteiligte er sich an drei Kurzgeschichtensammlungen von Kurzkrimis, unheimlichen Geschichten über schaurige Orte in der Schweiz und Schweizer Weihnachtsgeschichten. Dann gibt es noch einen Band «111 Orte im Kanton Solothurn, die man gesehen haben muss», den er gemeinsam mit der Baselbieter Autorin Barbara Saladin herausgab. Als Schriftsteller ist Christof Gasser längst angekommen. Er ist 61 Jahre alt und hat deshalb unter normalen Umständen noch ein langes Schreibleben vor sich.

Seiner Heimat, die von Zuchwil, über Solothurn und Oberdorf bis nach Grenchen reicht, bleibt er treu. Seit 2005 lebt er mit seiner Frau in Oberdorf. Nein, er hatte keinen Bezug zum Ort am Fusse des Solothurner Hausbergs, bis er und seine Frau vor 16 Jahren dort eine Wohnung suchten, und es ihnen auf Anhieb gefiel. Was er sonst noch tut ausser Schreiben, ein Krimifestival mitorganisieren oder beim Aufbau des Krimi­archivs in Grenchen mithelfen? Er schaut sehr gerne Filme, die vielleicht auch eine Inspirationsquelle sind für ihn. Und er wandert gerne. Die Aufzählung ist kurz, denn sein Haupthobby, wenn auch längst zum Beruf geworden, ist das Schreiben.

Die Fans von Dominik Dornach, seiner Tochter und Staatsanwältin Angela Casagrande können sich freuen – auf den fünften Band der «Solothurner Krimireihe».