Am Markt kaufen ist halt doch am schönsten

Hors-sol-Gemüse ist Gemüse, das ohne Erde angebaut wird – typischerweise in Gewächshäusern auf einem Substrat aus Kokosfasern oder Steinwolle. Beim konventionellen Gemüseanbau wächst alles im oder auf dem Boden, wie es sein sollte, sagen etwa die Bio-Bauern. Ein Augenschein auf dem Grenchner Markt.

Christian Schlup ist regelmässig auf dem Grenchner Wochenmarkt zu sehen. 
         
         
            
               Bilder: Joseph Weibel

Christian Schlup ist regelmässig auf dem Grenchner Wochenmarkt zu sehen. Bilder: Joseph Weibel

Auf dem Wochenmarkt kauft auch das Auge mit.

Auf dem Wochenmarkt kauft auch das Auge mit.

Christian Schlup ist, wie er selbst sagt, ein halber Staader. Man trifft ihn praktisch an jedem Freitagsmarkt in Grenchen, wo zwei Staader Gemüsebauern vertreten sind. Was hält er von Hors-sol-Gemüse? Christian Schlup stutzt. Er kennt diese Anbaumethode nicht. «Ich kaufe mein Gemüse und Obst am Grenchner Markt, weil ich weiss, dass die Produkte aus der Region stammen.» Der Wochenmarkt bietet ihm zudem die ­Gelegenheit, sich in schöner Atmosphäre mit Bekannten auszutauschen. Heute hat er Zutaten für ein Sommer-Ratatouille im Korb. Er öffnet seine Tasche und fragt: «Sieht das nicht lecker aus?»

Viele, die hier jeden Freitag von Stand zu Stand schlendern, vertreten seine Meinung. Sie entdecken immer wieder Neues und kaufen vielleicht auch mal etwas mehr ein als geplant. Beim Grossverteiler steht bei dem einen oder anderen Produkt vielleicht «aus der Region». «95 Prozent der Tomaten und 60 Prozent der Gurken stammen aus Hors-sol-­Gewächshäusern», schrieb das Magazin «saldo» schon 2019. Coop deklariert noch heute Hors-sol-Gemüse und gehört damit eher zur Ausnahme.

Manche sind der Meinung, dass Gemüse, das ohne Erde angebaut wird, weniger schmackhaft ist und künstlicher wirkt. Es wächst auf Kokosfasern und Steinwolle und wird über eine Tröpfchenbewässerung gezielt mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Produzenten sehen in dieser Methode nur Vorteile. So könne viel gezielter bewässert werden und es würde zwei Drittel weniger Wasser benötigt als im Freiland. Insektizide würden nur im Notfall eingesetzt.

Wir haben bei Philipp Gut vom Wallierhof in Riedholz nachgefragt. Er leitet die Fachstelle Spezialkulturen. Was hält er von der Hors-sol-Produktion? «Eine Freilandtomate, die länger wächst und natürlich besonnt wird, hat einen anderen Geschmack als eine Tomate aus Holland, die im Winter in einem Gewächshaus auf einer Hors-sol-Kultur gewachsen ist.» Damit will er aber nicht sagen, dass die Freilandproduktion per se besser ist. «Es ist vielmehr eine Frage der saisonalen Wahl. Tomaten oder Gurken, um zwei Beispiele zu nennen, sind Sommergemüse. Wachsen sie im Winter in einem Gewächshaus, kann der Geschmack nicht derselbe sein.»

Er moniert vielmehr, dass der Qualitätsanspruch der Endverbraucher enorm gestiegen sei, was auch die Form und das Aussehen von Gemüse oder Früchten betreffe. So könne man auch in der Anbauform keine Birnen mit Äpfeln vergleichen. «Alles hat seine bekannten Vor- und Nachteile.» Der Anspruch bestehe schliesslich auch, dass man alles zu jeder Jahreszeit kaufen und geniessen könne: Spargel, Erdbeeren oder eben Tomaten und Gurken im Winter, um nur ein paar gängige Beispiele zu nennen. Und vielfach wird der Kauf durch das Auge oder den Geruchssinn begünstigt. Philipp Gut: «Rispentomaten beispielsweise empfindet man als schmackhafter als Fleischtomaten. Dabei ist es nicht die Tomate selbst, die primär riecht, sondern das Kraut, an dem sie gewachsen ist.» Hier stehe der Gemüsebauer vor der Herausforderung, dass die Tomaten gleichzeitig reif werden, «was bei Tomaten bekanntlich nicht unbedingt der Fall ist».

Fakt ist: Die Hors-sol-Anbauflächen haben sich in der Schweiz zwischen 1995 und 2019 vervierfacht. Im Jahr 2018 betrug ihre Fläche 160 Hektar. Die Hors-sol-Produktion im Kanton Solothurn ist im Vergleich zu anderen Anbaukantonen sehr gering und wird aktuell lediglich von zwei Betrieben durchgeführt. Bio Suisse spricht sich nach wie vor gegen die Hors-sol-Produktion aus. Die Methode widerspreche den Grundsätzen des Bio-Landbaus, wird moniert. Akzeptiert wird bodenferne Produktion nur bei Pilzen, Sprossen und Topfkräutern. Fachleute sagen, die Komplexität des Bodens sei gross und mache einen Unterschied zu einer Unterlage aus Kokosfasern oder Steinwolle.

Dennoch ist die Schweiz beim Gemüse mit einem Selbstversorgungsgrad von 44 Prozent auf Importe angewiesen. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 252 000 Tonnen Gemüse importiert, vorwiegend aus Spanien (48%), Italien (21%) und den Niederlanden (9%). Das Gemüse stammt hauptsächlich aus der Hors-sol-Produktion, die eine ganzjährige Belieferung ermöglicht.

Philipp Gut vom Wallierhof sagt deshalb: «Ich bin klar ein Verfechter des regionalen Gemüse- und Obstanbaus und kann die Konsumenten nur dazu ermuntern, Gemüse und Obst direkt ab Hof oder auf dem Markt zu kaufen.» Das eine oder andere Angebot auf dem Markt oder im Hofladen ist vielleicht etwas teurer als beim Grossverteiler. Dafür sind auch kleinste Portionen erhältlich, wodurch Foodwaste grundsätzlich vermieden wird, was den Preisunterschied wettmacht. «Zudem kauft am Markt das Auge mit», sagt der regelmässige Marktgänger Christian Schlup.