Anne Hasselmann – eine Museumschefin auf Augenhöhe

«Die Inseln im finnischen Schärenmeer sind einfach faszinierend. Auf einer davon waren wir zwei Wochen lang im Urlaub. Du lebst in einer Hütte ohne Strom. Dafür gibt es eine mit Holz beheizte Sauna. Drei Mal in der Woche kommt eine Fähre vorbei und bringt Nahrungsmittel.» Ich habe die Museumsleiterin Anne Hasselmann nicht nach ihrem kürzlich schönsten Erlebnis gefragt. Sie hat es einfach so zu Beginn unseres Gesprächs erzählt. Dabei strahlt sie über das ganze Gesicht. Sie versprüht eine ansteckende Fröhlichkeit. Anne Hasselmann ist schwanger und wird gegen Ende des Jahres Mutter. Zum ersten Mal. Sie freut sich wahnsinnig auf das Ereignis, gleichzeitig spürt sie aber auch grossen Respekt.
Das Grenchner Museum, in dem sie ein Teilpensum von 50 Prozent als Leiterin innehat, hat für die Zeit des Mutterschaftsurlaubs von Anne Hasselmann eine befristete Stelle ausgeschrieben. Ihre Stelle im Historischen Museum Basel, in dem sie als Assistenzkuratorin angestellt ist, läuft Ende Jahr aus. «Meine Stellvertretung in Grenchen wird in dieser Zeit zwei Ausstellungen organisieren.» Einerseits freut sie sich sehr auf die Zeit als Mutter, andererseits fällt es ihr schwer zu gehen, «weil mir das Museum sehr am Herzen liegt.» Im Sommer 2026 will sie an ihre angestammten Arbeitsplätze zurückkehren. «Bis dahin», schmunzelt Anne Hasselmann, «wird auch der Grenchenbergtunnel wieder für die Bahn befahrbar sein.» Als Pendlerin schätzt sie den kurzen Weg zwischen Basel und Grenchen Nord, der in den letzten Wochen und Monaten über die Umwegstrecke Olten und Solothurn nach Grenchen Süd etwas beschwerlicher und länger war.
Die Erwähnung der beiden Grenchner Bahnhöfe führt zu einer Hommage an Grenchen, eine Stadt, die sie vor ihrem ersten Bewerbungsgespräch überhaupt nicht kannte. Wenn sie den prosperierenden Industrieort beschreibt, hat sie einen etwas anderen Blickwinkel. «Ich finde, Grenchen ist eine spannende Stadt, weil sie im Wandel ist. Oder anders gesagt: Grenchen ist unterwegs. Und dabei ist es für diese Stadt ganz wichtig, dass sie nach vorne blickt.» Sie nennt in diesem Zusammenhang den kürzlich eröffneten Campus Technik oder die Neugestaltung des Bahnhofs Süd in Grenchen. «Das sind für mich Elemente, die diesen Wandel sichtbar machen.»
Auch ihre eigene Geschichte ist spannend. Sie ist mit ihren Eltern und ihrem Bruder im Ruhrgebiet, südlich von Dortmund, aufgewachsen. Ihr Vater stammt aus Hamburg, ihre 99 Jahre alte Grossmutter lebt immer noch dort. Sie war als Kind oft in den Ferien bei ihr. «Sie ist für mich ein grosses Vorbild.» Vor 22 Jahren zog die Familie aus beruflichen Gründen in die Schweiz. Vom flachen Nordrhein-Westfalen in eine Gemeinde, die auf 1000 Meter Höhe im Appenzellerland liegt. Anne lacht. «Man muss sich das vorstellen. Das war für uns ein Kulturschock.» Sie erinnert sich noch gut daran, wie sie in ihrem neuen Zuhause im ausserrhodischen Speicher die erste Nacht auf einer Thermomatte schliefen, weil der Möbeltransporter noch nicht in der Schweiz eingetroffen war. Da habe sie den Nachbarn sprechen gehört und natürlich kein Wort verstanden. Sie seien aber rasch heimisch geworden und hätten ihre neue Heimat kennen und lieben gelernt.
Sie besuchte die Kantonsschule in Trogen und schloss 2006 die Matura ab. Dort entwickelte sie rasch eine Leidenschaft für das Fach Geschichte. Nach ihrem Abschluss packte sie die Reiselust und sie bereiste ein halbes Jahr lang mit einer Freundin Südamerika als Rucksacktouristin. Ursprünglich wollte sie Lehrerin werden, doch dieser Wunsch verflüchtigte sich nach dem ersten Semester an der Universität. Später schloss sie Bachelor und Master im Fach Geschichte an der Universität Zürich ab. Während ihres Studiums arbeitete sie immer in Museen. Ihr erstes Praktikum absolvierte sie im Kulturmuseum in St. Gallen. Im Landesmuseum Zürich war sie zuerst als Museumspädagogin und später als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. In dieser Funktion arbeitete sie an der Ausstellung «1917 Revolution. Russland und die Schweiz» mit. Die Sonderausstellung traf auf ihr grosses Interesse an der Geschichte Russlands, das zu ihrer späteren Dissertation zur Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg und der angewandten Museologie führte. Für diese Arbeit, die sie dank eines Stipendiums des Nationalfonds realisieren konnte, griff sie auf ihre Russischkenntnisse zurück, die sie sich im Slawistikstudium angeeignet hatte. Mit der Publikation «Wie der Krieg ins Museum kam» schloss sie ihre Promotion an der Universität Basel ab. Anschliessend arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Historischen Museum Basel, wo sie noch heute tätig ist.
Und so sind wir vom Ruhrgebiet über das Appenzellerland, Zürich und Basel schliesslich in Grenchen gelandet. Im April vor zwei Jahren sah sie die Ausschreibung des Museums Grenchen für die Neubesetzung der Leitungsposition. «So fuhr ich zum ersten Mal mit der Bahn nach Grenchen, schaute mir die Stadt und natürlich auch das Museum an.» Beim Bewerbungsgespräch vor dem Stiftungsrat sei sie offen und positiv empfangen worden. Ein Schwerpunkt des Gesprächs war die geplante Ausstellung zum 25-Jahr-Jubiläum des Museums, bei der sie die Gelegenheit hätte, ein deutliches Merkmal zu hinterlassen. So kam es zur Anstellung und zu ihrem ersten grossen Vorhaben, einer Doppelausstellung mit dem Titel «Ausgewählt! Je 25 Objekte von gestern und für morgen». Dabei ist für sie das Stichwort «Partizipation» zentral, ein Ansatz, der in der Kulturbranche ein grosses Desiderat ist.
Sie hat eine eigene, besondere Erklärung dafür. Ein Museum sei weder nur ein Tempel oder ausschliesslich ein Ort des Wissens. «Vielmehr ist es ein Ort des Austauschs und des Miteinanders», präzisiert sie und beschreibt gleich, wie sie dieses Konzept in Grenchen umgesetzt hat. «Ich hätte mir keinen besseren Einstieg wünschen können, weil ich durch die Beteiligung der Grenchnerinnen und Grenchner auf einen Schlag viele Menschen kennengelernt habe.» Damit erklärt sie auch ihr Verständnis für das Wort Partizipation: Es biete den Menschen vor Ort die Gelegenheit, Teil eines solchen Projekts zu werden. Die Doppelausstellung zum Museumsjubiläum wurde auch in der NZZ-Geschichte in einem Beitrag porträtiert. Darin wird Anne Hasselmann mit ihren rückblickenden Gedanken zitiert: Die schönste Erfahrung sei, dass dank der Ausstellung jetzt Leute ins Museum kämen, die bisher noch nie da gewesen seien, oder Firmen, die die Ausstellung mit ihrer gesamten Belegschaft besuchen würden.
Es scheint, als hätte Anne Hasselmann die richtige Balance gefunden, ihr fundiertes Wissen als Historikerin zu vermitteln und gleichzeitig den Puls der weniger museumsinteressierten Besucher und Besucherinnen richtig zu fühlen. Bei ihrer Arbeit hat sie natürlich auch den Gewölbekeller des Museums entdeckt, den sie als «Raum voller Trouvaillen und Schrott» beschreibt. Sie nennt ihn den «Keller des Grauens» und schmunzelt dabei. Dank finanzieller Unterstützung der Däster-Schild-Stiftung kann sich Bettina Kurz nun für längere Zeit als Assistentin mit dem Inhalt des gut gefüllten Kellers beschäftigen. «Auf Museumsdeutsch heisst das: Ent-Sammeln.» Es wird aussortiert, bereinigt und neuaufgenommen. Es soll zum Beispiel keine Doubletten geben. Ab und zu findet ein Bestimmungsabend statt, etwa wenn sie und Bettina Kurz die Herkunft oder Funktion eines Gegenstands nicht bestimmen können. Im Saal des Dachstockes werden die Teile ausgelegt und Interessierte zur Findung eingeladen. Bisher sei jeder Abend erfolgreich gewesen. Auch das ist für sie eine Form der Partizipation.
Und was kommt als Nächstes, Frau Museumsleiterin? Der Stiftungsrat, das Museumsteam und fünf Grenchnerinnen und Grenchner haben ein neues Leitbild für das Museum erarbeitet: Was sind unsere Aufgaben? Wie ist unsere Ausrichtung? Das Leitbild ist eine Vision, die zu mehr Identifikation zwischen den Menschen mit ihrer Stadt und Region Grenchen führen soll. «Wir spiegeln und erforschen die DNA der Stadt.» Wenn man Anne Hasselmann reden hört, spürt man förmlich: Die unkomplizierte Frau mit ihrem gewinnenden Lachen ist längst in Grenchen angekommen.
Und so endet dieses Gespräch, wie es begonnen hat. Mit der Natur, mit der Anne Hasselmann sich schon immer stark verbunden fühlt. Sie liebt die Berge und das Wandern. In vier Tagen hat sie den Thunersee umlaufen und erkundet. Letztes Jahr im Herbst war sie auf dem Jakobsweg. «Beim Wandern finden die besten Gespräche statt, und du hast Gelegenheit, über vieles nachzudenken.» In wenigen Monaten kommt eine ganz neue Erfahrung als Mutter hinzu. Mit ihrer positiven Art wird sie auch diese Aufgabe meistern und dabei vielleicht denken: Auf dieser Welt gibt es schon viel Schönes!