Beat Schnüriger sammelt auf, was andere liegen lassen
Der Samstagnachmittag ist für Beat Schnüriger aus Selzach Sammeltag. Er sammelt auf Trottoirs und in Blumenrabatten alles, was nicht dorthin gehört: Papierfetzen, Zigarettenstummel, leere Packungen oder PET-Flaschen. Er macht das nicht auf Geheiss, sondern freiwillig – seit gut einem Jahr.

Der Mann mit gelber Schutzweste, Greifzange in der einen und einem Abfallsack in der anderen Hand schaut sich suchend um im Café am Platz in Selzach. Er habe mit einem Zeitungsreporter abgemacht, erklärt er der Dame am Buffet. Beat Schnüriger ist pünktlich; auch wenn er auf seinem Weg von zu Hause ins Dorfzentrum ständig wieder Dinge am Boden entdeckt hat, die nicht dorthin gehören.
Er lernte Bäcker
Er hat eine feste Tour, die er gewöhnlich am Samstag während gut zweier Stunden abläuft und Kleinabfall vom Boden oder in Blumenrabatten entfernt. Beat Schnüriger ist 52 und arbeitet aufgrund seiner Behinderung bei der Vebo in Grenchen. Aufgewachsen und in die Schule gegangen ist er in Grenchen. Seit vielen Jahren lebt er mit seinen Eltern in Selzach. Er lernte Bäcker und arbeitete acht Jahre bei der Bäckerei Müller in Solothurn. Irgendwann sei es ihm zu stressig geworden, erzählt er. Dann habe er bei der Vebo in Oensingen im Küchendienst geschnuppert. Das sagte ihm nicht zu. Er schnupperte bei der Vebo in Grenchen in der Abteilung Elektronik. Da habe er sich wohler gefühlt. Hier arbeitet er noch heute.
So begann alles
Es lässt sich gut reden mit Beat Schnüriger. Er ist mitteilsam und wie schnell zum Ausdruck kommt, ist er auch begeisterungsfähig. Die Stadt Grenchen, erzählt er, habe bei der Vebo nachgefragt, ob eine kleine Truppe einmal im Monat auf Litteringtour gehen könne. Er habe sich dafür spontan gemeldet. «Vor allem am Süd- und Nordbahnhof», erzählt er, «liegt einiges herum. Viel mehr als in Selzach.» Diese monatliche Tour hat ihm Freude bereitet, und so entschloss er sich, Gleiches zu tun in seiner Wohngemeinde. Er wohnt am Postweg und so ganz in der Nähe des Fussballplatzes von Selzach. Da beginnt seine Samstagnachmittag-Tour. Weiter geht es zum Bahnhof und dann ins Dorf. Je nach Zeit erweitert er seine Tour um einen weiteren «Schlenker» im Dorf. Das Gesammelte im Abfallsack deponiert er bei der Gemeinde. Geht er bei jedem Wetter? «Nein, nicht bei jedem Wetter», gibt er bereitwillig zur Antwort.
Ihn interessieren die Menschen von damals
Sein Hobby sei die Abfalltour nicht. Da hat er andere Interessen. Am meisten begeistern ihn Dampflokomotiven, Holzöfen, wie man sie früher in den Küchen hatte, Holzfeuerungen ganz allgemein. Ihn interessiere, wie man früher gelebt habe. Deshalb zieht es ihn gerne immer wieder ins Schweizer Freilichtmuseum auf dem Ballenberg. Auf diesen alten Feuerstellen würde er gerne kochen, wie man sie in diesen alten Bauernhäusern noch antreffe. Er erzählt von Reisen nach Spanien oder Italien. Natürlich genoss er dort Fahrten mit Dampflokomotiven. Ihn interessiert aber auch die Geschichte dieser Länder. «Rom», sagt er, «war ja in der Antike ein Weltreich.» Woher er das alles weiss? Er lese gerne und viel in Geschichtsbüchern. Auch im Fernsehen schaut er sich Dokumentarfilme mit historischem Hintergrund an.
Eine schöne Geschichte
Er überrascht immer wieder mit der einen oder anderen Aussage. Beim Essen macht er kurz ein ernstes Gesicht. Da ist er etwas wählerischer. Er isst das, was er gerne mag. Punkt. Zum Beispiel? Schnitzel und Pommes, antwortet er. Oder Kiwi und Karamelköpfli. Er kocht auch gerne selber. Noch lieber produziert er Kleingebäck; in diesen Tagen werden bei Schnürigers Weihnachtsguetzli entstehen. Langweilig wird es Beat Schnüriger, stellen wir fest, nicht so schnell.
Er wird ungeduldig, möchte seine Freiwilligentour gerne in der Praxis zeigen. Wir gehen gemeinsam zum Bahnhof. Die Tour kann losgehen. Seine Blicke fokussieren sich auf die Trottoirränder und Rabatten. Hier liegt oft der Kleinabfall. Selbst Spielzeugautos, Feuerzeuge oder Tennisbälle habe er schon gefunden. Er schüttelt immer wieder den Kopf. «Unglaublich, was die Leute alles achtlos wegwerfen.» Er zeigt auf die Unterführung am Bahnhof. Da liegen auch mal Zeitungen und unzählige Zigarettenstummel am Boden. Jedes einzelne Stück greift er sich mit seiner Zange und steckt es in den Abfallsack. Heute bei unserem Treffen ist nicht Samstag. Er hat eine Sondertour eingelegt für den Zeitungsreporter. Am Samstag wird er wieder seine Stammtour angehen.
Eine schöne und nicht alltägliche Geschichte – fürwahr!