Die Grenchner Chesslete auf den Punkt gebracht

An der Grenchner Fasnacht ist manches anders als in der Fasnachtshochburg Solothurn. In Grenchen zum Beispiel ist der traditionelle Oberchessler seit über zehn Jahren eine Oberchesslerin. Sie heisst Sheena Ettlin und freut sich auf ihre elfte Chesslete in einer Woche.

Fasnächtliche Familie: Sheena Ettlin (rechts) mit ihrer Mutter und Tante – nach erfolgreicher Chesslete und vor der Mehlsuppe. Bilder: zvg

Und: Ist sie des Oberchesselns nicht müde? Sheena Ettlin macht nicht den Eindruck, als wolle sie das mit frühem Aufstehen verbundene Amt aufgeben. «Man hat mir einmal gesagt, das sei ein Amt auf Lebenszeit.»

Die Chesslete in Grenchen war bisher ein Sternmarsch. Aus fünf Richtungen und aus verschiedenen Quartieren kamen sie lärmend angelaufen, die Chesslerinnen und Chessler, bis sie am Schluss eine grosse Traube bildeten: Menschen jeden Alters, in weissen Hemden und Zipfelmützen, mit roten Halstüchern um den Hals und einem Lärminstrument in der Hand. Das sei vorbei, sagt Sheena Ettlin. «Dieses Jahr werden wir uns erstmals zwischen 4.45 und 5 Uhr auf dem Pausenplatz beim Schulhaus I und II versammeln und gemeinsam losmarschieren.» Die Oberchesslerin wird nicht den Startschuss geben, sondern mit ihrer überdimensionalen Rätsche buchstäblich den ersten Ton angeben. Die Fackelträger leuchten ihr und hoffentlich vielen anderen Chesslern den Weg.

Die Chesslete ist keine typische Besonderheit der Schweizer Fasnacht – sie ist eine Besonderheit der Solothurner Fasnacht. Sie strahlt auf den ganzen Kanton aus. Selbst nördlich des Juras wird sie in den Gemeinden des Kantons gefeiert. Die Chesslete ist – neben Hilari und Gosche in Grenchen – der Auftakt zur fünften Jahreszeit am Schmutzigen Donnerstag, der so manchen Närrinnen und Narren für einige Tage den Schlaf raubt. Doch zuvor wollen die Chesslerinnen und Chessler am frühen Morgen möglichst vielen Menschen in den verschiedenen Quartieren lautstark verkünden, dass die Fasnacht begonnen hat und der Winter vertrieben werden soll.

In Grenchen ziehen die Weissbekleideten vom Startpunkt beim Schulhaus I und II Richtung Nordbahnhof, Dammstrasse, Däderiz, Altersheim Kastels, dann Richtung Bettlach bis zum alten Spital und zurück ins Zentrum. Sheena Ettlin rechnet mit einer Dauer von rund einer Stunde. Danach wird in den drei Restaurants Baracoa, Krebs und Passage Mehlsuppe serviert. Im Restaurant Bambi gibt es Wienerli mit Brot.

Wie viele Grenchnerinnen und Grenchner an der Chesslete mitmachen werden, wagt die Oberchesslerin nicht vorauszusagen. Sie weiss nur: Es sind auch Schulklassen dabei, und dann hängt der Aufmarsch – nicht nur in Grenchen – vor allem vom Wetter ab. Sie selbst ist schon früh mit der Fasnacht in Berührung gekommen – und natürlich auch mit der Chesslete. Treibende Kraft war bei ihr zu Hause die Mutter. Der Vater hingegen «flüchtet» seit zwei Jahren ins fasnachtslose Exil. Vorher zog es ihn als eines der Gründungsmitglieder der Guggenmusik Nocopyrights vermehrt noch ins närrische Treiben. «Meine Mutter war Mitglied der Amedisli, ich wurde als Novizin aufgenommen. Ein Jahr später wurde ich zur Zunftmeisterin gewählt.» Nicht auf Lebenszeit, aber immerhin über zehn Jahre übte sie dieses Amt aus. Im vergangenen Jahr wurde die Zunft mangels Nachwuchs aufgelöst. Wenn sie am Donnerstag ihr Amt als Oberzunftmeisterin für ein Jahr abgibt, wird sie bis Sonntag unterwegs sein und in dieser Zeit vorübergehend wieder in ihr Elternhaus ziehen. «Damit die Wege kurz und übersichtlich bleiben», lacht sie.

Beruflich ist sie ausserhalb der Fasnacht Technisch/Kaufmännische Leiterin bei einem Bauunternehmen in Büren an der Aare. Zurzeit studiert sie Betriebsökonomie, um sich weiter für ihre berufliche Zukunft zu rüsten. Wenn sie nicht gerade arbeitet und einmal im Jahr in der Fasnacht versinkt, ist sie in ihrer Freizeit im Sommer immer mal auf dem Motorrad und im Winter auf den Skis anzutreffen.

Spätestens am Schmutzigen Donnerstag in einem Jahr, wenn sie wieder pünktlich um 5 Uhr ihre grosse Rätsche schwingt und mit den Mitchesslern dem Winter den Garaus macht, ist der Alltag für einen Moment ausser Kraft gesetzt.