Ein Glaser auf Biegen und Formen

Es ist dynamisch und vielseitig anwendbar, widerstrebt erfolgreich Wind und Wetter und gewinnt immer mehr als dekoratives Element: das Glas. Dahinter steckt eines der ältesten Handwerksformen, das nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist. Auch nach über 30 Berufsjahren ist der Grenchner Marc Boder von seinem Beruf fasziniert, der längst zur Passion geworden ist. Sein Glasatelier, das er zusammen mit seiner Frau gegründet hat, ist dieses Jahr ein Vierteljahrhundert alt geworden.

Sybille und Marc Boder: «Wir sind eben ein richtig gutes Team!»
Sybille und Marc Boder: «Wir sind eben ein richtig gutes Team!»

Was muss man sich unter dieser Handwerksform vorstellen? Glas haben alle zu Hause, in Form von Fenstern, Türen, Tischen, Lavabos, Duschwänden, in Form eines Trinkglases. Marc Boder zeigt mir etwas anderes. Ein Museumsglas von 1678. Er hebt es kurz an und zeigt die Umrandung, auf der Rückseite hat es überall Verläufe aus einer Bleilegierung. «Diese einem Rinnsal ähnlichen Verläufe sind Reparaturen. Aus der gleichen Legierung ist der Rahmen dieses musealen Stückes», erklärt Marc Boder. Er ist nicht «nur» Glaser und diplomierter Glasbauexperte. Er ist auch Kunstglaser und somit einer von ungefähr 20 Berufsleuten in der Schweiz. Dieses Museumsglas wird er in den kommenden Tagen und Wochen restaurieren. «Ist das nicht eine aufwändige Arbeit?», frage ich. «Nein», sagt der Kunstglaser, «es ist eher wie ein Puzzle. Man kommt Stück für Stück mit der Arbeit voran, zusammengezählt sind das ein paar Tage.» Oft werde die Berufsbezeichnung mit dem Begriff «Kunst» falsch interpretiert, sagt Boder. Und doch ist sie eine. Die Kirchenfenstergestaltung, lese ich in einer Fachpublikation, gehöre zu den schönsten, aber auch zu den anspruchsvollsten Aufgaben eines Kunstglasers.

Sehr abwechslungsreich
1996, am 1. Mai, wie er schmunzelnd betont, habe er sich entschlossen, seinen Beruf künftig auf eigene Rechnung weiter auszuüben. Noch vor der «normalen» Glaserlehre hatte er im Freiburgischen das Handwerk des Kunstglasers gelernt. Die «Nachlehre» machte er im elterlichen Betrieb. Sein Grossvater gründete in den vierziger Jahren einen Glaserbetrieb in Grenchen, den später sein Vater und sein Onkel weiterführten. Den Betrieb gibt es noch heute, ist aber nicht mehr in der Hand der Familie. Auch wenn sein Job Knochenarbeit ist, so fasziniert ihn dieses Metier wie am ersten Tag. Warum? «Ganz einfach, weil es enorm abwechslungsreich ist.» Spätestens im Schauraum, eine Etage über der Werkstatt, wird klar was er meint. Wir blicken auf Küchenrückwände, Duschverglasungen, Glastische, Türverglasungen mit individuellen Formen oder ein Lavabo in glänzendem oder mattem Glas. Vieles, was hier steht bzw. feilgehalten wird, ist einzigartig. Es sind Unikate. Strukturen auf einer Türverglasung beispielsweise werden mit einer Negativform aufgeschmolzen.

Klein und fein geblieben
Richtig. Glas wird geschmolzen, neu-, um- oder ausgeformt. Im Atelier von Marc Boder stehen vier verschieden grosse Öfen. Der Schmelzofen ist ein wichtiges Werkzeug im Glasatelier. Mit Hilfe der Wärme werden bestehende Glasformen gebogen – oder wie im vorangehenden Fall ein Motiv eingebrannt. 2005 haben die Boders einen Anbau gemacht, um dem grössten Ofen genügend Raum zu bieten.
Wir suchen vergebens nach einer Chronik. «25 Jahre sind doch eine lange Zeit?», hake ich nach. «Wie hat sich das Geschäft entwickelt, wie viele Mitarbeitende beschäftigt es?» Sybille und Marc Boder schauen sich kurz an und schmunzeln. «Das sind wir und der Lernende, wir alle», erklärt Marc Boder. Er ist ein Macher, einer der gerne die Hand im Spiel hat, von A bis Z. Wenn es ein paar kräftige Hände mehr braucht, so hat er sein Freelance-Team, die bei ihm auf Auftragsbasis arbeiten und somit ermöglichen, auch grössere Aufträge auszuführen. In den ersten Jahren war auch meistens seine Frau vor Ort, wenn es darum ging, eine Scheibe neu einzubauen oder eine Reparatur vorzunehmen.

Der Anfang war nicht einfach
«Am Anfang war es nicht einfach», erinnert sich Sybille Boder. «Wir haben zeitweilig von unserem Ersparten leben müssen». Erst ab 1999, als sie das Atelier an das bestehende Wohnhaus an der Dählenstrasse 76 bauten, ging es bergauf mit dem Geschäft. Glaser gibt es viele in der Schweiz. Marc Boder bietet gleich zwei Alleinstellungsmerkmale: Er ist Kunstglaser und beherrscht auch das Biegen von Glas. Von diesen Berufsleuten, die das Gleiche machen wie er, gibt es nur wenige hierzulande. In dieser Sparte weitet sich der geographische Radius, wo seine Kunden herkommen, entsprechend aus. Das betrifft auch die Kunstglaserei. Und man kennt ihn, den eher bescheiden wirkenden Mann aus Grenchen. Seine Kunden finden ihn, weil sie Gutes von ihm hören, im Internet auf ihn stossen oder weil er von zufriedenen Kunden empfohlen wird. Das sagt er nach arbeitsreichen, aber überaus befriedigenden 25 Jahren seiner Selbständigkeit.

So viel zum Glas
Marc Boder steuert das Gespräch auf seinen «gewöhnlichen» Alltag. Seine Spezialitäten sind ein Standbein, aber allein davon könnte er und seine Familie mit Frau, zwei Söhnen und einer Tochter nicht leben. Gewöhnlich sieht man ihn in Privathaushalten, in einem Gewerbe- oder Industriebetrieb. Er liefert neue Gläser, ersetzt gebrochene Scheiben oder konstruiert eine Notverglasung, wenn ein gröberer Schaden besteht. Immer mehr wird er gerufen, um bei begehbaren Duschen eine Glaswand zu setzen oder ein Glas-Lavabo zu installieren. Zunehmend gefällt den Menschen die Transparenz eines Glastisches, oder sie möchten sogar über einen Glasboden laufen. Einen Vorgeschmack auf all diese Möglichkeiten gibt es im Schauraum des Glasateliers Boder. Wie hält dieses Glas alles aus? «Ganz einfach, je höher die Stabilität sein muss, desto dicker das Glas.» Im Falle eines Glastisches oder -bodens sind 19 Millimeter Dicke nötig. Das ist das handelsübliche Maximum – abgesehen eines eher seltenen hochsicheren Panzerglases. Gewöhnlich ist das Fensterglas zwischen 2 bis 10 Millimeter dick. «Und im Gegensatz zu früher wird vom Glas mehr Sicherheit verlangt.» Es wird gehärtet oder mit einer Folie zu einem Verbundglas verarbeitet, so wird die Verletzungsgefahr minimiert. Das stabilere Glas ist auch schwerer. Sie hätten nicht weniger Reparaturaufträge als noch vor 25 Jahren. Hingegen habe die Art der Reparaturaufträge sich geändert.

Ein richtiges gutes Team
Man könnte noch stundenlang diesen Worten lauschen und staunen, was dieses Glas, das wir so gewöhnlich finden, weil es im Alltag präsent ist, alles hergibt. Marc Boder ist 53 Jahre alt. Er macht sich keine Gedanken, ob einer seiner beiden Söhne den Betrieb übernimmt. Der Betrieb ist klein geblieben. Er habe die Grösse, die er sich wünsche, sagt Boder. Und er freut sich auch künftig auf die Aufträge seiner Kunden, die er mit viel Präzision und Fachwissen zu deren Zufriedenheit weiterhin ausführen möchte. Abschalten kann er sehr gut, wenn er mit dem Mountainbike ausgedehnte Touren mit seiner Frau oder den Kollegen auf den Jurahöhen geniesst. Entspannung bringt der ganzen Familie, wenn sie mit dem Wohnmobil unterwegs sind. Seit wenigen Jahren ist die Passion von Sybille und Marc Boder zumindest für sie zum Beruf geworden. Sybille Boder vermietet Wohnmobile, mit eigenem Geschäft in Grenchen. Das macht sie gerne, und nach wie vor auch die ganze Büroarbeit ihres Mannes. Seine Kapazität für die Arbeit seiner Frau ist beschränkt. Aber sie reicht immer aus, wenn er einen neu ausgelieferten Camper bei einer Testfahrt auf Herz und Nieren prüft. Sybille Boder schmunzelt und sagt: «Wir sind eben ein richtig gutes Team!»