Eine taffe Frau und immer gut Achse

Sandra Huber-Müller. Bild: zvg
Sandra Huber-Müller. Bild: zvg

Unser Gespräch ist zu Ende. Beim Hinausgehen greift sich Sandra Huber-Müller die deutsche Zeitschrift «Burda» auf einem Möbel und tippt auf das Titelbild. «Burda», muss man wissen, ist eine Modemagazin mit Tipps zum Nähen, Stricken und Häkeln. Sandra Huber wird den Bikini häkeln, der auf dem Titel abgebildet ist. «Das wird eine Herausforderung», schmunzelt sie. Da sie aber regelmässig zum Strick-Treff im Altersheim Lengnau geht, wird sie jemanden finden, der ihr den Start erleichtert. Ein gehäkelter Bikini ist nicht alltäglich. Aber vielleicht kommt er nach 50 Jahren, wie so vieles andere, wieder in Mode. Das «Burda»-Magazin hat Jahrgang 1974.

Das ist eine schöne Geschichte und längst nicht die einzige, mit der die vor dreieinhalb Jahren gewählte Gemeindepräsidentin von Lengnau verblüfft. Sowohl als Politikerin als auch als offene und aktive Privatperson. Drehen wir das Blatt auf den Anfang unserer Begegnung im schmucken Eigenheim, das sie zusammen mit ihrem Mann Sascha und Sohn Jannis bewohnt. Am liebsten würde sie mit mir für das Gespräch in den Garten gehen – in ihr Reich, wo sie Kraft tankt, ob bei der Arbeit oder einfach beim Chillen. Die Fauna, insbesondere die Vogelwelt lässt sich in den einheimischen Gewächsen gerne nieder. Kohl- und Tannenmeisen habe sie schon gesehen, ebenso Zaunkönige und Rotkehlchen. Sie ist Mitglied des Ornithologischen Vereins Grenchen. Sie kennt die Vogelwelt. Ein grosses Vogelbad steht im Garten, im Winter bietet sie in einem Vogelhaus den gefiederten Tieren Nahrung. Schliesslich komme sie aus der Stadt im Grünen. So habe man ihre Heimatstadt in ihrer Jugendzeit genannt. «Und das strahlt sie heute noch aus», ergänzt sie.

Auch wenn sie schon über zwei Jahrzehnte in Lengnau lebt, hat sie den Draht zu Grenchen nie verloren. Dort leben ihre Familie und Bekannten von früher. Das sind ihre Wurzeln. In Lengnau hat sie aber längst Fuss gefasst. Mit ihrem Mann, gebürtiger Bettlacher, und Sohn Jannis – er war damals eineinhalbjährig – zog sie 2002 in die bernische Nachbargemeinde in ein Eigenheim am Läusliweg. Schon früh wirkte ihr empathisches Wesen positiv auf die Menschen. Damit holte sie sich viele Sympathien und einen offenen Zugang zum aktiven Dorfleben. Die gestandene Frau war schon in Grenchen Mitglied der Feuerwehr, in Lengnau bald einmal in der hiesigen Organisation LePiMe (Lengnau-Pieterlen-Meinisberg). Da ist sie heute in einer Kaderfunktion noch mit dabei.

Weiter engagierte sie sich in den Anfängen beim örtlichen Fussballclub, begeisterte sich für den Ferienpass und half aktiv mit. Bei diesem Engagement war es nicht weiter verwunderlich, dass sie auch bald einmal für ein politisches Amt angefragt wurde. Sie hatte sehr wohl Ambitionen. «Als Tochter einer Arbeiterfamilie habe ich die Werte und die Politik der Sozialdemokratischen Partei favorisiert.» Sie wirkte in verschiedenen Kommissionen mit und liess sich 2015 erstmals auf die Gemeinderatsliste der SP setzen. In der Ära als Gemeinderätin Soziales war sie während dreieinhalb Jahren auch Vizegemeindepräsidentin und sammelte so schon viele Erfahrungen. Die bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse der Mitmenschen, das gesunde Zusammenleben und eine hohe Lebensqualität waren für sie von Beginn weg das höchste Ziel. Einen Markstein setzte sie mit der Gründung des Seniorennetzwerks, das sie noch heute mit Akribie leitet. Gemeinsam mit einer Kollegin baute sie zudem den Lengnauer Eltern-Kind-Treff auf.

Im Herbst 2019 erzielte sie ein hervorragendes Wahlresultat. Für das Gemeindepräsidium kam es zum ersten Mal zu einem «Stechen». Sie setzte sich gegen zwei Kandidaten deutlich durch und war sich bewusst, dass sie im siebenköpfigen Gemeinderat die einzige Frau war und sich möglicherweise auf Gegenwind gefasst machen musste. Zumal sie die erste Frau Gemeindepräsidentin überhaupt war und zudem noch die bürgerliche Vorherrschaft beendete. Es kam anders: gut. «Ich spürte von Anfang an Rückhalt und hatte nie das Gefühl, eine Einzelkämpferin zu sein.» Sie geniesst die gute Zusammenarbeit und die Konsensfähigkeit im Rat. Allein, sagt sie mit einem Lächeln, sei sie höchstens, wenn sie in ihrer Funktion als Gemeindepräsidentin im Alleingang die Gemeinde und den Gemeinderat vertrete.

Sie liebt ihre Arbeit als Gemeindepräsidentin und fühlt sich damit gut ausgefüllt. Als gelernte Kauffrau gehen ihr die administrativen Arbeiten leicht von der Hand. Sie hat einen beachtlichen beruflichen Hintergrund – ohne akademische Ausbildung. War das nie ein Thema? «Ich bin in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen. Meine Eltern hätten das nicht verstanden.» Die KV-Lehre betrachtete sie als Grundausbildung. Einige Jahre später schloss sie eine Weiterbildung zur Personalfachfrau ab. Der erfolgreiche Abschluss ist umso höher zu werten, weil sie die Prüfung hochschwanger absolvierte. Ihre neuen beruflichen Kenntnisse setzte sie als Direktionsassistentin im damaligen Spital Grenchen ein. Da jedenfalls machte sie schon einmal deutlich, dass sie allzeit bereit ist, für eine gute Sache zu kämpfen. Das galt ebenso für das Grenchner Spital, das trotz aller Widerstände 2011 geschlossen wurde. Beruflich nahm sie noch einmal eine Weiterbildung in Angriff, die sie als Führungsfachfrau mit eidgenössischem Fachausweis abschloss. Sie ist jetzt 48 Jahre alt. Was ist ihre nächste Herausforderung? «Zunächst stehen die Gemeinderatswahlen an.» Und später? «Später, nach der Politik, will ich mir einen Traum erfüllen und mich als Treuhänderin ausbilden lassen.»

Die beruflich und politisch engagierte Frau hat noch andere Seiten, ihr handwerkliches Geschick zum Beispiel. In diesem Fall ist die Handwerkskiste ihre engste Vertraute. Draussen, im Grünen, weiss sie ebenso gut mit Heckenschere und Säge umzugehen. Ihr Talent habe sie vom Vater geerbt, sagt sie. «Es gab eigentlich wenig bis nichts, dass er nicht selbst in Haus und Garten in die Hand nahm.» Und gibt es da keine territorialen Streitigkeiten mit ihrem Mann? Sandra Huber verneint: «Sascha ist IT-Spezialist und kümmert sich um alles Administrative zu Hause, was ich überaus schätze.»

Die feingliedrigen Hände, die eben auch gut anpacken können, braucht sie genauso gerne für die Handarbeit, die ihr ebenso Abwechslung zum beruflichen und politischen Alltag bietet. Und weil sie ihre Sprachkenntnisse einst mit einem «First Certificate»-Abschluss in Englisch erweitert hat, schmökert sie gerne in englischsprachigen Büchern, damit sie nicht aus der Übung kommt. Beim Kochen oder Haushalten lässt sie sich von einem Hörbuch berieseln. Hat sie jetzt alle ihre Hobbys aufgezählt? Sie nickt. Das Reisen gehört ebenso dazu. Und dabei darf es auch mal ein Trip auf einen anderen Kontinent sein. Sie interessiert sich für andere Länder, deren Menschen und Kulturen.

Nicht zu vergessen das Hobby, das sich Sandra Huber vor nicht allzu langer Zeit zugelegt hat und dem eine weitere schöne Geschichte vorangeht. Nach ihrer ersten Wahl in den Gemeinderat bildete sie zusammen mit Parteikollege Daniel von Burg die SP-Fraktion. Er war ein begnadeter Reiter und Besitzer von alten Kutschen. Dieser Daniel von Burg beschied ihr, dass sie ihre gemeinderätlichen Vorbesprechungen auf der Kutsche oder beim Ausritt mit Pferden abhalten würden. Und? Sie entschied sich fürs Reiten.

Ihre offene Art und Empathie hat sie nicht verloren, als – kaum hatte sie ihr neues Amt angetreten – die Coronapandemie über das Land zog und alles andere überdeckte. Die Zeit blieb stehen, schien es. Das Leben ging aber weiter, auch das politische. Fast unbemerkt wurden gewaltige Investitionen in der Gemeinde ausgelöst: die Dreifach-Turnhalle zum Beispiel, die Gewerbe- und Wohnliegenschaft am Brunnenplatz, die Wärmezentrale oder ein neuer Dreifachkindergarten. All diese Bauten sind im Laufe der letzten zwei Jahre in Betrieb genommen worden. Trotz erschwerter Umstände habe sich in der Gemeinde einiges bewegt. Das gilt auch für die Bevölkerungsbewegung. 2002, als die Familie Huber nach Lengnau zog, waren es 4400 Einwohner. Letztes Jahr zählte die Gemeinde knapp 5700. Die künftigen Herausforderungen, das weiss sie, werden nicht weniger.

Sie wird die Zukunft ebenso beherzt und engagiert angehen und mit ihrer Empathie ihre Mitmenschen auch künftig in ihren Bann ziehen. In welcher Tätigkeit auch immer.