Luzia Meisters Liaison mit der Jungstadt Grenchen

Mit 50 Jahren wollte sie sich beruflich noch einmal neu orientieren und bewarb sich auf die Stelle des Stadtschreibers in Grenchen. Sie wurde zur ersten Stadt­schreiberin von Grenchen gewählt. Das war vor 15 Jahren. Jetzt geht sie in Pension.

Luzia Meister, wie man sie kennt: offen und fröhlich. Bild: Joseph Weibel

Luzia Meister arbeitete in Zürich, Genf, Fribourg, Aarau, London, New York, zuletzt in Basel als «Departementssekretär» (die weibliche Form gab es damals noch nicht) und damit als rechte Hand des Finanzdirektors des Kantons Basel-Stadt. Und dann kam sie nach Grenchen. Nein, kein Wenn und Aber. Schliesslich war sie schon einmal in Grenchen – bei der Preisverleihung für vorbildliche Fussgängerzonen: als Vizepräsidentin von Pro Velo Schweiz.

Einstieg mit vielen neuen Bekanntschaften

Da kommt die Weitgereiste aus dem grossen Basel in die überschaubare Uhren- und Industriestadt und nimmt hier Wohnsitz. Sie findet bis heute kein Haar in der Suppe. Sie prägte und liebt den Begriff «Jungstadt»: «Grenchen ist eine lebendige, wirtschaftliche aktive Stadt, innovativ und oft pionierhaft, ohne Altstadt, beweglich, kinderfreundlich; mit viel Natur, Kultur und unglaublichen Sportmöglichkeiten.»

An der Hohlenstrasse hat sie damals eine Wohnung gefunden, dort wohnt sie heute noch. In Basel radelte sie eine halbe Stunde zur Arbeit und abends zurück, in Grenchen nur 10 Minuten. «Damals dachte ich: Jetzt wirst du wohl zunehmen.» Kein Problem. Luzia Meister wollte ihren neuen Arbeits- und Wohnort kennenlernen. Erkunden, was die Stadt zu bieten hat. Unterwegs mit ihrem 25‑jährigen Fahrrad lernte sie mit ihrer offenen und unkonventionellen Art immer wieder neue Leute kennen.

Vorreiterrolle in Integration

Zuvor war sie vorwiegend als Juristin und Geschäftsprüferin tätig. Zehn Jahre als Rechtskonsulentin beim damaligen Bankverein und dann ein weiteres Jahrzehnt im Finanzdepartement Basel-Stadt. Ihr Gehalt habe sie in den letzten 25 Jahren wohl immer mit Spareffekten durch ihre Arbeit wieder hereingeholt, feixt sie. Mindestens, hakt sie nach. Alle Ratsgeschäfte gingen zuerst über ihren Tisch und wurden auf Korrektheit, Transparenz und Wirtschaftlichkeit geprüft. In Grenchen waren die Aufgaben noch weiter. Aber auch hier war sie das «Gewissen» und hinterfragte, was ihr zur Prüfung vorgelegt wurde.

Als Integrationsbeauftragte engagierte sie sich in den letzten zehn Jahren für eine gezielte Integration der Menschen aus immer ferneren Kulturen. «Das heisst Unterstützung beim ‹Deutsch- und Schweiz-Lernen›, aber ebenso un­sere Werte, unsere Anforderungen vermitteln und durchsetzen.» Grenchen nahm seit Jahrzehnten immer wieder eine Vorreiterrolle ein bei der Integra­tion. Der Zustrom von ausländischen Arbeitskräften in die aufstrebende Industriestadt, zunehmend auch von Flüchtlingen, stellte die Stadt vor grosse Herausforderungen. Grenchen war Pilotstadt für das Projekt «start.integra­tion» und Luzia Meister übernahm eine wichtige Vermittlerrolle – auch gegenüber dem Kanton, der ihrer Meinung nach damals viel Papier produzierte, aber zu wenig praxisorientiert war. Vorreiterin ist die Stadt nach wie vor. Das gilt auch für den jüngsten Wurf, an dem Luzia Meister massgeblich mitwirkte: ein dreijähriges Pilotprojekt mit Obligatorium zur Sprachförderung für fremdsprachige Kinder vor dem Kindergarten.

Sie sieht alles gerne auf Papier

Wo Sonne ist, ist bekanntlich auch Schatten. Vor sieben Jahren wurde die städtische Juristenstelle nicht mehr besetzt und Luzia Meister übernahm einen Grossteil der Aufgaben. Der Papierberg in ihrem Büro ist dadurch nicht kleiner geworden. Obwohl sie die Digitalisierung meist unterstützt, bezeichnet sie sich selbst als ein Mensch, der die Fakten haptisch in den Händen halten will. Sie sieht alles gerne auf Papier. Mit der «Sammelwut» von Alltagsgegenständen aus den 50er-Jahren hat das, wie sie sagt, nichts zu tun. In jener Zeit boomte Grenchen und mauserte sich zur modernen Stadt. Das könnte doch Motto des Grenchner Festes werden, schlug sie vor. Und sie begann, privat Objekte aus dieser Epoche zu sammeln. Daraus entstand eine Ausstellung im Turm Halten und später im Museum Grenchen. Und tatsächlich nutzte das Grenchner Fest 2016 erstmals dieses Motto, wie auch in der Folge 2018 und 2024. Vereine und Läden setzten die Objekte intensiv ein. «Ein Stadtfest braucht ein Thema, wenn auch Besucher von auswärts kommen sollen», ist sie überzeugt, und es brauche einige Zeit, um sich einen Namen zu machen.

Sie bleibt in ihrer zweiten Heimat

Ihre letzten Arbeitsjahre seien intensiv gewesen. Vieles entstand in stiller Teamarbeit. Auch privat hat sie längst ihren Platz in der Stadt gefunden. Freie Wochenenden verbringt sie oft in ihrer Heimat Riehen (BS) im Kreise ihrer Familie. Seit bald 40 Jahren singt sie im Kammerchor Notabene Basel. Als Hommage an Grenchen trat sie diesen Frühling mit dem Chor in der Zwinglikirche auf.

Und jetzt: Zieht es sie zurück nach Basel? Vor sechs Jahren sagte sie im Gespräch mit dieser Zeitung: «Ich weiss es noch nicht. Ich kenne hier schon mehr Leute als in Basel.» Heute weiss sie es. Sie wird in Grenchen wohnen bleiben – aber in Riehen Unterschlupf behalten. Sie hat noch viel vor. «Man muss die Stärken dieser Stadt weiterentwickeln», sagt sie überzeugt. An Engagement wird es ihr nicht mangeln. Das hat sie längst bewiesen. Sie wird weiterhin für die Jungstadt werben. Grenchen sei die «autofreundlichste Velostadt». «Das ist kein Widerspruch, das ist möglich, wenn man die Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausspielt», schmunzelt sie. Auch Natur in der Stadt ist ein Plus mit grossem Potenzial für die Wohn- und Aufenthaltsqualität; «Grenchen Witi innerorts» nennt sie dieses Thema. Und wenn ihr jemand sagt, der Marktplatz sei leer, antwortet sie, der Marktplatz sei sehr gross, deshalb wirke er leer. «Alles ist relativ. Und das gilt nicht nur für den Marktplatz.»

Lassen wir uns also überraschen, was diese taffe und sympathische Frau mit dem unverkennbaren Basler Dialekt in dieser Stadt noch alles «anstellt».