Mathias Stricker: Er könnte nach 37 Jahren wieder die Region Grenchen in der Regierung vertreten

Wann hat eine Lehrerin oder ein Lehrer die meiste Zeit? Nach der Schule oder in den Ferien – und davon hat er genug – so lautete früher die landläufige Meinung. Das Berufsbild hat sich gewandelt und damit wohl auch die vielen Vorurteile gegenüber Lehrpersonen. Für Mathias Stricker, Lehrer und Politiker aus Bettlach, spielt es keine Rolle, ob Ferien sind oder nicht. Er unterrichtet in Bellach mit einem 50‑Prozent-Pensum. Die andere Hälfte braucht er als Präsident des Verbandes Lehrerinnen und Lehrer Solothurn, kurz LSO. Und so treffe ich ihn nicht im Schulzimmer, sondern im Sitzungszimmer des LSO an der Hauptbahnhofstrasse in Solothurn. Ist der 56‑jährige Bettlacher schulmüde? Seine Antwort: Ein klares Nein. Warum? «Später mehr», sagt er.
Mathias Stricker reicht mir zum Anfang unseres Gesprächs ein Jassspiel mit französischen Karten. Mein ungläubiger Blick lässt ihn erklären. Das Jass-Set ist das Herzstück der Standaktion der Sozialdemokraten, die mit der amtierenden Regierungsrätin Susanne Schaffner und meinem Gesprächspartner Mathias Stricker als Regierungsratskandidat ins Rennen gehen. Die beiden sind im ganzen Kanton auf Jasstour. Man muss es mögen, dieses Kartenspiel, da sind wir uns einig. Den Umgang mit den 36 Spielkarten hat er von seiner Grossmutter im Weisstannental in der Nähe des Pizols gelernt. Seine Grosseltern führten einen Hotelbetrieb und so arbeitete er auch als Student oft mit und erlebte, was es heisst, einen Restaurations- und Hotelbetrieb zu führen – und wie viel Arbeit dahintersteckt. Die ersten fünf Jahre seines Lebens verbrachte Mathias Stricker in Alt St. Johann im Toggenburg.
Ins Solothurnische kamen er und seine Eltern, weil sein Vater, ein Pfarrer, eine Stelle als Religions- und Geschichtslehrer an der Kanti in Solothurn erhielt. Ganz so einfach war der Wohnortwechsel von Alt St. Johann weg, das seit 2010 mit dem bekannteren Wildhaus zusammengelegt ist und zwischen dem mächtigen Säntismassiv und den sieben Churfirsten liegt, nicht. Das war es auch für seine Mutter nicht, die ihrem Sohn die Begeisterung fürs Skifahren weitergab. Der Jurasüdfuss bietet zwar keine solche Kulisse, aber mit dem Balmberg immerhin ein kleines Skigebiet. Als Skilehrerin konnte seine Mutter ihrer Passion auf dem Balmberg weiter nachgehen. Mathias Stricker tat es ihr einige Jahre später als ausgebildeter J+S-Leiter gleich. Die Zeiten sind vorbei – die Skischule wurde letztes Jahr aufgelöst, weil es da oben kaum mehr Schnee gibt.
Sportliche Aktivitäten sind für den Bettlacher wichtig. Im Sommer zieht es ihn oft mit dem Stand-up-Paddel auf die Aare. «Dieses ruhige Gleiten auf dem Wasser hat für mich etwas Meditatives.» Vor zehn Jahren kam er auf diesen Wassersport. Die Aare wie auch der Jura sind für ihn typische und den Kanton der Regionen verbindende Elemente, die er auch als Brückenbauer nutzen möchte.
Politik ist auch für ihn vor gut 15 Jahren zu einem zentralen Teil seines Lebens geworden. 2009 stieg er aktiv in die Politik ein. «Ich stellte damals als Vorstandsmitglied des LSO fest, dass sich der Verband bzw. seine Vertreter bildungspolitisch mehr einbringen müssten.» Also war für ihn damit der richtige Zeitpunkt gekommen. Für ihn war immer klar, dass er sich politisch engagieren wollte. Erst müssten aber seine Tochter und sein Sohn aus den Kinderschuhen entwachsen sein. Das war die Bedingung, die er selber an sich stellte. Für die SP habe er sich entschieden, weil er zwei seiner zentralen Themen – Bildung und Umwelt – am ehesten bei den Sozialdemokraten vertreten sah. Er kandidierte sowohl für den Bettlacher Gemeinderat als auch für den Kantonsrat und rückte 2012 in beiden Räten nach.
Es gibt noch eine zweite Gemeinde, die mit «B» beginnt und auch zu einem Lebensmittelpunkt geworden ist. Seit über 30 Jahren unterrichtet er an der Primarschule in Bellach; beim FC «Bäuch» war er aktiver Fussballer und Juniorentrainer und engagierte sich später auch im Vorstand. Der Schuldienst vor 30 Jahren war ein anderer. Dazwischen liegen Reformen und auch gesellschaftlicher Wandel. Wenn er ein Zwischenfazit ziehen müsste – wie würde das aussehen? «Vielleicht müsste die Frage heissen: Würde ich noch einmal den gleichen Beruf wählen?», sagt er und gibt die gleich die Antwort: «Ja, ich würde diesen Beruf wieder wählen, weil er so vielseitig und mit unterschiedlichsten Themen umwoben ist.» Der Beruf halte ihn jung. Vielleicht auch, weil die Ansprüche an Lehrer, Kinder und seitens der Eltern sich ebenfalls stets verändern. «Die Zusammenarbeit mit den Eltern beispielsweise ist herausfordernder geworden – auch mit gestiegenen Ansprüchen an uns Lehrpersonen.» Seinen Führungsstil bezeichnet er als konsequent, möglichst gerecht und immer lösungsorientiert. «Die Kinder spüren schnell, wenn etwas nicht stimmt, und mir ist es ein grosses Anliegen zu erfahren, wie es den Kindern geht. Und wenn ich ihnen neben dem Lernstoff noch Werte wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und respektvollen Umgang mit Menschen und der Natur vermitteln kann, so ist vieles richtig.» Jedenfalls findet er, er könne bis heute diesen Beruf stemmen, ohne dabei auszubrennen. Und was ist ihm als Präsident der Solothurner Lehrerinnen- und Lehrerverbands wichtig? «Die Rahmenbedingungen für die Lehrerschaft müssen stimmen und attraktiv sein. Das ist kein Ziel, sondern eine ständige Aufarbeitung!»
Es ist Winter und das Thema Schnee, Skifahren und in seinem Fall: Skilager. Alle zwei Jahre fährt er mit seiner Klasse ins Skilager nach Mürren. «Der Aufwand ist gross, aber die Freude überwiegt, vor allem, wenn die Kinder ihre ersten Skitage erleben und nach einer halben Woche die blaue Piste alleine meistern.» Schwieriger sei es, ein Leiterteam zusammenzustellen, aber gleich fügt er an: «Ich habe Glück und kann auf ein langjähriges Stammteam zählen.» Darunter seien auch Berufsleute, die dafür eine Woche Urlaub opferten, er schätze das sehr. In der Natur fühlt er sich wohl – im Sommer wie im Winter. Er ist regelmässiger Bergwanderer im Jura, schwimmt gerne in der Aare und verbringt seine Winterferien im Berner Oberland oder in Graubünden. Letztes Jahr erfüllte er sich mit seiner Frau Andrea, die in der schulischen Heilpädagogik tätig ist, einen lang gehegten Wunsch und reiste nach Lappland.
War da nicht was mit Bierbrauen und so? Richtig. So habe ich Mathias Stricker vor gut zehn Jahren kennengelernt – beim Bierbrauen. Ein paar Freunde hatten vor 15 Jahren vor, einen Jassclub zu gründen. Das Bettlefescht kam dazwischen, und sie beschlossen damals spontan, für dieses Fest ein Bettle-Bier zu brauen. Jassen konnte man ja dann später immer noch. Dazu kam es aber nicht (mehr). Seither kommen die Hobby-Bierbrauer zweimal jährlich zum Brauen zusammen, um den edlen Saft aus Malz, Hopfen und Hefe für den Bettläbier-Obä immer wieder neu zu komponieren.
Das wird auch dieses Jahr nicht anders sein. Zuerst stehen aber noch die Wahlen an. Für ihn kapitale Wahlen, die eine Krönung seiner bisherigen politischen Aktivität sein könnten. Das Politisieren, zieht er nach 15 Jahren ein Fazit, habe ihm so manchen neuen Blickwinkel eröffnet. Er zwinkert mit den Augen und macht eine Klammer: «Natürlich nicht nur jenen in die Braustube.» Als Lehrer hatte er vor dieser Zeit bildungspolitisch eine klare Vorstellung: Die Bildung braucht Geld, auch wenn es etwas mehr kostet. Als Gemeinderat in Bettlach und Mitglied der Finanzkommission habe er schnell festgestellt, dass ein Nein oder zumindest ein Vorbehalt für ein Vorhaben nicht per se gegen die Bildung gerichtet sei. Die vielseitigen Ansprüche an die öffentliche Hand sind nicht immer vorbehaltlos und gänzlich finanzier- und realisierbar. Wichtig sei indes, dass die Gründe, die für oder gegen ein Vorhaben sprechen würden, offen und transparent nach aussen kommuniziert würden. «Das ist von zentraler Bedeutung und löst das nötige Verständnis aus, auch unter Direktbetroffenen. Nicht immer. Aber in der Regel.»
Das Bildungswesen liegt ihm am Herzen. Das wird sich nie ändern in seiner aktiven Berufszeit. Er habe dafür sein eigenes Credo entwickelt. Darf ich es zitieren?» Klar. – «Bildung ist das stabilste Fundament für eine starke Gesellschaft. Und die Bildung entlastet den Staat und stärkt gleichzeitig die Wirtschaft.» Ein klares Statement eines Mannes, der bei einer Wahl in den Regierungsrat nach 37 Jahren wieder die Region Grenchen in Solothurn vertreten würde.