Was darf es sein? Macchiato, Espresso, Mochaccino …?
Vielleicht haben Sie die sympathische Dame mit ihrem ganz speziellen Kaffeewagen (Coffee-Bike) schon einmal gesehen – zum Beispiel in Biel auf dem Zentralplatz oder irgendwo an einem Anlass im Seeland. Nicole Amstutz arbeitete bis vor wenigen Monaten im Marketing bei verschiedenen Banken, unter anderem im Kanton Solothurn. Seit dem 1. März 2023 ist die 53-jährige Gerolfingerin selbstständig und mit ihrem Coffee-Bike unterwegs. Wir haben sie auf dem Zentralplatz in Biel besucht.

Nicole Amstutz mahlt eine Portion Kaffee, stellt einen kleinen Becher unter den Ausfluss und lässt mit der Pumphebel-Kaffeemaschine einen schmackigen Espresso heraus. Sie hat von weitem schon eine ihrer Stammkundinnen gesehen. «Die Frau ist 80-jährig und schaut bei mir immer auf einen Espresso vorbei.» Seit 9 Uhr morgens steht sie mit ihrem Coffee-Bike auf dem von vielen Seiten zugänglichen Zentralplatz – dem «Picaddilly Circus» von Biel. Hier hat sie zwei bis drei Tage pro Woche ihren Standplatz – auch wenn mal das Wetter nicht so schön ist wie bei unserem Besuch.
Bitte einen Kaffee!
Der nächste Stammkunde kommt. Nicole Amstutz kennt sie alle, die bei ihr vorbeischauen, einen Kaffee trinken und mit der sympathischen Dame plaudern. Ab und zu kommen auch Touristen vorbei und fragen nach dem Weg oder nach Sehenswürdigkeiten. «Ich bin auch ein bisschen Fremdenführerin», schmunzelt sie.
An das lange Stehen und Warten auf Kundschaft hat sie sich längst gewöhnt. An ihrem Wagen, in dem jede Ecke zentimetergenau geplant ist, gibt es immer etwas zu tun. Wer das entwickelt hat, kennt sich auch mit Camping aus. Ganze 500 Kilogramm bringt das «Coffee-Bike» auf die Waage. Da wird selbst mit Elektroantrieb eine grössere Steigung zur Herausforderung. Abends und an freien Tagen steht das Gefährt in einem geschlossenen Raum in der Nähe des Zentralplatzes. Für weitere Fahrten zu speziellen Anlässen transportiert Nicole Amstutz ihr Gefährt mit einem Anhänger.
Sie träumte vom Kaffeehaus
Montag und Dienstag hat Nicole Amstutz frei. Niemand sagt ihr, ob und von wann bis wann sie mit dem «Coffee-Bike» unterwegs sein muss. Der Franchisegeber in Osnabrück lässt ihr freie Hand. Nur die Produkte – zum Beispiel die Kaffeebohnen mit der exklusiven Mischung «70 Prozent Arabica, 30 Prozent Robusta» – muss sie vom Franchisepartner beziehen. Dass sie sich für diese besondere Art der Selbstständigkeit entschieden hat, war keine spontane Idee. Sie liebte ihren Job im Marketing, wo sie Events organisieren konnte. Das war ihre Welt. «Die Coronapandemie hat mir diese Welt genommen. Ich musste und wollte etwas Neues machen.» Von einem kleinen Café mit selbst gebackenem Kuchen hatte sie schon lange geträumt. Doch sie fand nichts, was ihren Vorstellungen entsprach. «Beim Stöbern im Internet bin ich auf ‹Coffee-Bike› gestossen und habe Kontakt aufgenommen.» Eine Woche lang wurde sie in Osnabrück (Niedersachsen) geschult und auf ihre neue Tätigkeit vorbereitet.
Ganz schön exklusiv
Es ist 10 Uhr. Der Passantenstrom auf dem Zentralplatz nimmt zu. Eine freundliche Dame bestellt einen Kaffee, genauer gesagt einen Latte macchiato, den Favoriten auf der Bestellliste. Sie fragt Nicole Amstutz: «Haben Sie Konkurrenz bekommen, oder gehört der Kaffeewagen am Bahnhof auch Ihnen?» – «Nein», sagt die Angesprochene. «Das ist eine andere Firma.» Im Moment gibt es in der Schweiz tatsächlich nur Nicole Amstutz und Kurt Burkhalter (Leuzigen, wir berichten später), die als Franchisenehmer ein Coffee-Bike betreiben. Ziemlich exklusiv. Darauf legt das Osnabrücker Unternehmen Wert. Solange Nicole Amstutz aktiv ist, wird es in der Region Seeland keinen zweiten Betreiber geben.
Und das will sie auch bleiben. «Ich habe meinen Traumjob gefunden», sagt sie. Er wirft nicht mehr so viel Geld ab wie ihr früherer Job. Sie weiss zwar nicht, was am Ende des Monats unter dem Strich herauskommt, aber sie weiss, dass sie zufrieden ist. «Und das ist mir heute sehr wichtig.» Sie lebt mit ihrem Partner und den beiden Söhnen in Gerolfingen. Ihre Prioritäten sind heute andere als vor 20 Jahren.
Von der Stadt bewilligt
Sie hat von der Stadt Biel eine Bewilligung für die verschiedenen Plätze – sei es auf dem Zentralplatz, am Strandboden oder in der Altstadt. Nur Alkohol darf sie nicht ausschenken – ausser auf den offiziellen Märkten (z. B. Braderie). Aber das macht sie nur im Winter. Kaffee – die Liste auf ihrer Kaffeekarte ist fast so lang wie die eines Wiener Kaffeehauses – ist die Basis ihres Geschäfts. Aber es gibt auch Chai Latte, heisse Schokolade oder Tee. Im Sommer wird die Karte durch verschiedene Eiskaffees ergänzt. Das eisige Zubehör lagert sie in einer Isolierbox in der grossen Holztruhe, die auch als Stehtisch dient.
Ihr Einsatz hat sich eingespielt. Rund die Hälfte ihrer Standzeit verbringt sie auf dem Zentralplatz. Dazu kommen immer mehr Tagesveranstaltungen. Und da kann es ganz schön stressig werden. «Rekord waren 500 Kaffees am Tag.» Nicht nur die beiden mechanischen Kaffeemaschinen laufen heiss. Am 1. August ist sie an der Bundesfeier in Lyss engagiert, letzten Samstag war sie an einer Ausstellung in Biel mit 40 Ständen.
Noch eine Frage an die Coffee-Bike-Frau: Wie ist das mit dem stillen Örtchen? Sie überlegt: «Ja, das ist ein Problem, das nicht immer einfach zu lösen ist.» Ihr Prinzip: so wenig wie möglich am Tag trinken. Das reduziert die Toilettengänge. Und wenn es sein muss, findet sie einen Stammkunden, der während ihrer kurzen Abwesenheit auf das Coffee-Bike aufpasst.
Nach bald fünf Monaten im neuen Job fühlt sich Nicole Amstutz gut. Sehr gut sogar. Mit dem Franchisenehmer hat sie einen Vierjahresvertrag. Sie könnte ihn vorher kündigen und das Coffee-Bike verkaufen. Daran denkt sie nicht. Ganz im Gegenteil. Sie wird richtig unternehmerisch und freut sich über jede Anfrage. «Man kann mein Fahrzeug und mich mieten», lächelt sie und reicht mir ihre Visitenkarte. Einfach anrufen. «Oder einfach ein Mail senden», sagt sie. Also sagen wir es weiter: 079 279 78 61 oder n_amstutz@bluewin.ch.